Seit einer im Jänner 2024 veröffentlichten Entscheidung des OGH werden die
Fallgruppen „wrongfull birth“ und „wrongfull conception“ gleichbehandelt. Das
bedeutet, dass Schadenersatz auch für die schuldhaft verursachte Unterhaltspflicht für
ein völlig gesundes Kind gewährt werden kann.
Bislang scheiterten Schadenersatzanklagen wegen fehlgeschlagener
empfängnisverhütender Behandlungen von Gynäkologen und Urologen von Eltern
völlig gesund geborenen Kindern daran, dass die Geburt eines gesunden Kindes nicht
als Schadensfall betrachtet wurde.
Nunmehr geltenden zwei neue Rechtssätze:
- Sowohl bei einem medizinischen Eingriff, der die Empfängnisverhütung
bezweckt (zB Vasektomie oder Eileiterunterbindung), als auch bei der
Pränataldiagnostik sind die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) an der
Verhinderung der Empfängnis bzw. – bei Vorliegen der embryopathischen
Indikation – der Geburt eines (weiteren) Kindes vom Schutzzweck des
ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst.
- Wäre das Kind bei fachgerechtem Vorgehen bzw ordnungsgemäßer Aufklärung
der Mutter (der Eltern) nicht empfangen bzw nicht geboren worden, haftet der
Arzt (unabhängig von einer allfälligen Behinderung des Kindes) insbesondere
für den von den Eltern für das Kind zu tragenden Unterhaltsaufwand.
Während Gynäkologen oftmals schon bewusst ist, dass sie eine risiko- und damit
haftungsträchtige Fachrichtung ausüben, ist dies bei Urologen bislang zu wenig
bekannt. Auch Vasektomien können insofern schiefgehen, als die vom Patienten
gewünschten Sterilität nicht eintritt. Ursächlich dafür, können entweder
Behandlungsfehler oder übersehene anatomische Anomalien sein. Die meisten in der
Judikatur behandelten Fälle betreffen allerdings Aufklärungsfehler.
Derartige Fehler wirken sich nunmehr finanziell äußerst gravierend aus, als die volle
Haftung für die gesamte Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber dem Kind bis zu
dessen Selbsterhaltungsfähigkeit zugesprochen werden kann.
Dem – schwachen – Argument im angeführten Ausgangsfall, die Eltern hätten sich
ihrer Unterhaltsverpflichtung durch Freigabe des Kindes zur Adoption befreien können
und, da sie dies unterlassen haben, gegen ihre Schadensminderungsverpflichtung
verstoßen, hat der OGH mit dem Hinweis auf die emotionale Bindung der Eltern zu
ihrem ungeborenen Kind, keine weitere Beachtung geschenkt.
Wesentlich schwerer zu beurteilen wird die Schadensminderungsverpflichtung des/der
Geschädigten in den Fällen der „wrongfull conception“ sein, da in dieser Fallgruppe
die Geburt auch eines völlig gesunden Kindes vom Patienten nicht gewünscht wird.
Die Berücksichtigung von ethisch-moralischen Gründen bei der Ablehnung von
medizinischen Maßnahmen, die zur Schadensminderungspflicht geeignet wären, hat
der OGH im Zusammenhang mit einer lebensrettenden Bluttransfusion bei einer
Patientin der Glaubensrichtung der Zeugen Jehovas abgelehnt und erkannt, dass die
Verweigerung einer medizinisch indizierten lebensrettenden Bluttransfusion aus
religiösen Gründen gegen die Schadensminderungspflicht verletzt.
Sofern man, wofür gute Gründe bestehen, auch eine medizinisch nicht indizierte
Abtreibung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht nur für straflos, sondern für
zivilrechtlich erlaubt ansieht, wird sich die Frage stellen, ob die Ablehnung einer
Abtreibung aus ethisch-religiösen Gründen in Fällen der „wrongfull conception“ nicht
eine Verletzung der Schadensminderungspflicht darstellt.
Jedenfalls sollten Urologen ihre Haftpflicht- und
Strafrechtsschutzversicherungssumme dahingehend überprüfen, ob sie auch
sämtliche Unterhaltsansprüche eines Kindes bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit
abdecken kann.
Darüber hinaus zeigt sich einmal mehr, dass eine umfassende und fachgerechte
Aufklärung der Patienten und insbesondere die Dokumentation dieser Aufklärung für
Ärzte aller Fachrichtungen von essenzieller Bedeutung ist.