Unkenntnis des Grundbuchstandes hindert die Ersitzung eines Wohnungseigentumsobjekts nicht

Nach der Entscheidung des OGH zu 10 Ob 20/23y vom 13.02.2024 ist auch bei der Ersitzung eines Wohnungseigentumsobjekts der Ersitzungswerber ohne Verdachtsmomente nicht verpflichtet, sich über den tatsächlichen Grundbuchstand oder den Wohnungseigentumsvertrag Kenntnis zu verschaffen. Weil das Vorliegen von Verdachtsmomenten allerdings von einer Einzelfallbetrachtung abhängig ist, wird es auch weiterhin sinnvoll sein, beim Kauf von Wohnungseigentumsobjekten den Grundbuchstand genauestens zu prüfen.

Im Jahr 1990 verkaufte der spätere Schuldner ein Wohnungseigentumsobjekt, übergab der Erwerberin aber auch die im Kaufvertrag nicht erwähnte Garage. Im Grundbuch erfolgte nur die Einverleibung des Eigentumsrechts an der Wohnung. In der Folge wurde die Wohnung noch viermal „samt Garage“ veräußert. Alle Verkäufer und Erwerber gingen davon aus, dass die Garage Zubehör der Wohnung sei und mit dem Kauf auch an dieser (Zubehörwohnungs-)Eigentum erworben werde. Alle Erwerber betrachteten sich demgemäß auch als Eigentümer der Garage, nutzen sie exklusiv und bezahlten die ihnen dafür vorgeschriebenen Betriebskosten und Annuitäten. Im Grundbuch ist immer noch der Schuldner als Eigentümer der Garage eingetragen.

Der Kläger begehrte als letzter Erwerber, den Insolvenzverwalter zur Zustimmung zur Einverleibung seines (unter Einrechnung der Zeiten seiner Vorgänger) ersessenen Eigentumsrechts an der Garage zu verpflichten.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab der Klage hingegen statt. Dass bei keinem Erwerbsvorgang aufgefallen sei, dass die Garage ein eigenes Wohnungseigentumsobjekt sei, überrasche zwar. Gründe, aufgrund derer die Erwerber an der Rechtsmäßigkeit ihres Besitzes zweifeln hätten müssen, lägen aber nicht vor, sodass die unterlassene Einsicht in das Grundbuch und den Wohnungseigentumsvertrag der Ersitzung der Garage nicht entgegenstehe.

Der Oberste Gerichtshof wies die Revision des Beklagten zurück. Dessen Ansicht, der Ersitzungswerber eines Wohnungseigentumsobjekts müsse stets in das Grundbuch Einsicht nehmen, andernfalls er nicht als redlich angesehen werden könne, widerspricht dem Umstand, dass die Ersitzung grundsätzlich auch gegen den im Grundbuch eingetragenen Eigentümer möglich ist (Ersitzung „contra tabulas“). Da dies auch für die Ersitzung von Wohnungseigentumsobjekten gilt, besteht eine Verpflichtung, den Grundbuchstand zu erheben oder in den Wohnungseigentumsvertrag Einsicht zu nehmen, nur bei einem (indizierten) Verdacht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen. Zudem ändert die irrtümliche rechtliche Qualifikation der Garage als Zubehör und nicht als Wohnungseigentumsobjekt nichts am Besitzwillen der jeweiligen Erwerber.

Aus dem vom Obersten Gerichtshof wiedergegebenen Sachverhalt geht nicht hervor, wie es sein kann, dass die Hausverwaltung, die verpflichtet ist, Betriebskosten entsprechend der Miteigentumsverhältnissen vorzuschreiben, den (außerbücherlichen) Erwerbern der Garage die Betriebskosten dafür vorgeschrieben hat, sodass der Irrtum über 30 Jahre niemanden aufgefallen ist. Umgekehrt blieb auch, warum keiner der Rechtsanwälte oder Notare, die die Kaufverträge errichtet und durchgeführt haben, die ursprüngliche Parifizierung geprüft und ihre Mandanten darüber aufgeklärt haben, dass die Garage noch immer dem ursprünglichen Wohnungseigentümer gehört.

Im gegenständlichen Fall war es von Vorteil, den richtigen Grundbuchstand nicht erhoben und die Parifizierungspläne nicht geprüft zu haben. Dies jedoch lediglich aufgrund der Tatsache, dass der Irrtum über 30 Jahre bestanden hat und Ersitzung eingetreten ist. Wäre der Irrtum nach 28 Jahren aufgefallen, hätte der letzte Erwerber sein Recht die Garage zu nutzen verloren. Ob er sich dabei an seinen Voreigentümern regressieren hätte können, ist höchst zweifelhaft. 

Trotz der Klarstellung des OGH, dass der gute Glaube über 30 Jahre(!), an die Richtigkeit der aktuellen Nutzungsverhältnisse im Wohnungseigentum Ersitzung gegen den Grundbuchstand ermöglicht, werden wir auch in Hinkunft stets dazu raten und nicht davon abgehen, bei der Errichtung eines Kaufvertrages für Wohnungseigentumsobjekte die ursprüngliche Parifizierung im Grundbuch genauestens zu prüfen, um unsere Mandanten vor unliebsamen Überraschungen zu bewahren.

Unsere Mandanten sollten sich stets darauf verlassen können, dass sie tatsächlich jenes Wohnungseigentumsobjekt bekommen, für das sie bezahlt haben.

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