Hinter dem sperrigen Titel „Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024“ verbergen sich nicht zu unterschätzende Umwälzungen in der österreichischen Gesundheitspolitik. War bisher die Planung im niedergelassenen ambulanten Bereich von einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen den Gesamtvertragsparteien – Sozialversicherungsträger und Ärztekammern – geprägt, wird sie in Hinkunft vom Prinzip „wer zahlt schafft an“ geprägt sein.
1.
Wenn in Zukunft keine Einigung im niedergelassenen Bereich über die Anzahl und Verteilung der ärztlichen Planstellen erfolgt, werden die Planungsvorgaben vom Dachverband auf Basis eines Gutachtens der Gesundheit Österreich GmbH im Verordnungswege festgelegt. Im Bedarfsprüfungsverfahren für neue Gruppenpraxen und selbstständige Ambulatorien haben nur noch die Sozialversicherungsträger das Recht zur Beschwerde an die Landesverwaltungsgerichte bzw. zur Revision an Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof. Die Ärztekammern haben hier ihre Parteistellung verloren. Wirtschaftskammer und Landesärztekammer haben im Bedarfsprüfungsverfahren über Ambulatorien nur noch das Recht zur Stellungnahme.
2.
Generell entfällt jegliche Bedarfsprüfung für bettenführende und ambulante Krankenanstalten, wenn mangels Einigung der Sozialpartner die Bedarfsplanung durch Verordnung des Dachverbandes erfolgt ist. Zu diesem Zweck hat der Dachverband eine neue Verordnungskompetenz im ASVG erhalten.
3.
An einer der zentralen Stellen im ASVG, die die ärztlichen Gesamtverträge regelt, werden als Maßstab für die ausreichende Gesundheitsversorgung in Österreich nunmehr die verbindlichen Inhalte der Verordnungen der Gesundheit Österreich GmbH genannt. Wie schon erwähnt hat der Dachverband die Versorgungspläne für den niedergelassenen Bereich im Verordnungsweg festzulegen, wenn in der Bundeszielsteuerungkommission keine Einigung zustande gekommen ist. Es wird in Zukunft spannend werden, wie ernsthaft derartige Verhandlungen über Versorgungspläne für den niedergelassenen Bereich geführt werden, wenn im Endeffekt die Sozialversicherungsträger darüber auf der Basis eines Gutachtens der Gesundheit Österreich GmbH entscheiden können.
4.
In Zukunft können eigene Einrichtungen der Sozialversicherungsträger für die Sicherstellung der ausreichenden Versorgung der Versicherten uneingeschränkt herangezogen werden. Das früher dafür erforderliche Einvernehmen mit der Ärztekammer ist nicht mehr erforderlich. Ärzte- Zahnärztekammer können daher nicht mehr verhindern, dass Sozialversicherungsträger eigene Ambulatorien errichten.
5.
Nur noch die programmatischen Grundsätze der Planung des Gesundheits Zielsteuerungsgesetzes schützen den niedergelassenen Bereich vor einem ungezügelten Wildwuchs von eigenen Einrichtungen der Sozialversicherungsträger und Konkurrenz durch Primärversorgungszentren. Ob diese Planungsgrundsätze in der Praxis entsprechende Berücksichtigung finden, wird sich zeigen.
Demnach soll die integrative Planung der österreichischen Gesundheitsversorgungsstruktur den Grundsatz „digital vor ambulant vor stationär“ berücksichtigen sowie auf Basis vorhandener Evidenzen und sektorenübergreifend erfolgen. Sie umfasst alle Ebenen und Teilbereiche der Gesundheitsversorgung und Nahtstellen zu angrenzenden Bereichen. Die integrative Planung hat den niedergelassenen, akutstationären und tagesklinischen sowie den ambulanten und stationären Rehabilitationsbereich sowie neuerdings auch den digitalen Bereich zu umfassen.
Die integrative Versorgungsplanung hat entsprechend den Prinzipien der Zielsteuerung-Gesundheit Prioritäten zu setzen. Einer der Prinzipien ist die Priorisierung des niedergelassenen Bereichs bei der Planung des extramuralen ambulanten Bereichs. Allerdings wird dieses Prinzip erst an letzter Stelle genannt. Davor finden sich Prinzipien wie, Stärkung des ambulanten Bereichs durch flächendeckenden Ausbau von Primärversorgungseinheiten (PVE), Weiterentwicklung des akutstationären und tagesklinischen Bereichs sowie Forcierung des Ausbaus von Spitalsambulanzen.
Die Krankenversicherungsträger haben beim Abschluss von Verträgen sicherzustellen, dass im Bereich der Anbieterinnen und Anbieter eine gewisse Vielfalt bestehen bleibt, womit Eigentümerstrukturen vermieden werden sollen, die die Versorgungssituation beherrschen. Diese Regelung soll sicherstellen, dass monopolartige oder -ähnliche Anbieterstrukturen eine versorgungspolitisch unerwünschte bestimmende Einflussnahme erlangen oder bei entsprechenden kaufmännischen Entscheidungen einer Reduzierung des Leistungsangebots die Versorgung nachhaltig gefährden können.
6.
Seitens der Österreichischen Gesundheitskasse ist mit der Österreichischen Ärztekammer ein bundeseinheitlicher Gesamtvertrag mit einheitlichem Leistungskatalog und österreichweit harmonisierten Honoraren abzuschließen. Bis zum Abschluss eines solchen einheitlichen Gesamtvertrages bleiben allerdings die regionalen Gesamtverträge – also die zwischen der jeweiligen Gebietskrankenkasse und der zuständigen Landesärztekammer abgeschlossenen aufrecht. Damit bleibt bis zum Abschluss eines bundeseinheitlichen Gesamtvertrages auch die Weiterentwicklung bzw. der Abschluss neuer Honorarvereinbarungen zu diesen regionalen Gesamtverträgen durch die jeweils zuständige Landes-Ärztekammer zulässig.
7.
Im Hinblick auf regionale Erfordernisse soll die bisher schon bestehende Möglichkeit, dass die Einzelvertragsparteien zum Gesamtvertrag ergänzende oder davon abweichende Regelungen hinsichtlich Art, Umfang und Honorierung der vertragsärztlichen Tätigkeit treffen können, beibehalten werden. Dies betrifft insbesondere Regelungen betreffend die Festlegung der Öffnungszeiten, betreffend Spitalsambulanzen entlastende Leistungen oder betreffend dislozierte Standorte. Des Weiteren soll die dafür erforderliche Zustimmung der örtlich zuständigen Ärztekammer zwecks Flexibilisierung und Vereinfachung entfallen.
8.
Wird eine ärztliche Planstelle des Stellenplans mindestens zwei Mal erfolglos ausgeschrieben, so können die Träger der Krankenversicherung Verträge mit zur freiberuflichen Berufsausübung berechtigten Ärzten zur vorübergehenden Versorgung bis zum Abschluss eines Einzelvertrages abschließen. Wird der Arzt im Rahmen eines Ärztebereitstellungsdienstes tätig, so können auch ergänzende oder abweichende Regelungen hinsichtlich der Honorierung getroffen werden.
9.
Die künftige Aufgabe des Stellenplans besteht lediglich darin, die Konkretisierung der örtlichen Verteilung der Vertragsärzte, Vertrags-Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten entsprechend der verbindlichen Teile der Regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG) vorzunehmen. Diese örtliche Verteilung kann weiterhin auf regionaler Ebene zwischen der Österreichischen Gesundheitskasse und der örtlich zuständigen Ärztekammer festgelegt werden.
Wenn allerdings innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der verbindlichen Teile der RSG kein Einvernehmen mit der Ärztekammer über die konkrete örtliche Verteilung zustande kommt, ist in einem solchen Fall die konkrete örtliche Verteilung vom Krankenversicherungsträger selbst festzulegen. Dies soll auch für den Fall gelten, dass hinsichtlich der Verlegung bestehender Planstellen kein Einvernehmen zwischen dem Krankenversicherungsträger und der zuständigen Ärztekammer erzielt werden kann.
10.
Schließlich sollen zur weiteren Beschleunigung der Nachbesetzung unbesetzter Planstellen die Regelung im ASVG, die ein Veto der Ärztekammer samt einer Entscheidungskompetenz der Landesschiedskommission vorgesehen haben, ersatzlos entfallen.
11.
Schon nach bisheriger Rechtslage ist es den Trägern der Krankenversicherung im Falle eines gesamtvertragslosen Zustandes erlaubt, mit Gruppenpraxen und Primärversorgungseinheiten Sondereinzelverträge abzuschließen. Diese Sondereinzelverträge bedürfen nach bisheriger Rechtslage der Zustimmung der örtlich zuständigen Ärztekammer. Da den Krankenversicherungsträgern ein gesetzlicher Versorgungsauftrag der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen bei der Umsetzung der verbindlichen Planung übertragen ist, sollen die gesetzlichen Möglichkeiten zur Sicherstellung der Sachleistungsversorgung dahingehend erweitert werden, dass das Erfordernis der Zustimmung der Ärztekammer in diesen Fällen entfällt. Ebenso sollen Regelungen getroffen werden, die den rechtlichen Fortbestand dieser Sondereinzelverträge beim nachträglichen Abschluss eines Gesamtvertrages zum Gegenstand haben. Es kommt zum Erlöschen dieser Sondereinzelverträge, wobei aber ein Rechtsanspruch auf Abschluss eines Einzelvertrages ohne weiteres Auswahlverfahren besteht.
12.
Nunmehr soll auch die Entscheidung über Ausschreibung einer Planstelle sowie die Einleitung des Auswahlverfahrens selbst ausschließlich durch die jeweiligen Krankenversicherungsträger erfolgen. Das Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer ist künftig dafür nicht mehr erforderlich. Ein solches Einvernehmen ist auch gesamtvertraglich nicht mehr rechtswirksam begründbar, bestehende und künftige vertragliche Regelungen sind als unzulässig und folglich nichtig anzusehen.
Die Zukunft wird zeigen, ob die erfolgte Entmachtung der Ärztekammern tatsächlich den gewünschten Effekt erzielt, Entscheidungsabläufe bei der Planung und Umsetzung der Versorgung im niedergelassenen Bereich zu beschleunigen oder ob durch Herausnahme eines wesentlichen Players die Tendenz der Sozialversicherungsträger, dem spitalsambulanten Bereich vermehrt ambulante Leistungen aufzubürden noch weiter verstärkt wird.